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Treyklbaum, die Mädchenschön

Eine Leseprobe

Vom Nutzniessen auf Kosten anderer im Wissen darum, bildet den Topos der Erzählung "Treyklbaum, die Mädchenschön".
Angesiedelt im Umfeld eines Boxclubs zeichnet die Erzählung das Leben von acht Protagonisten, alle unterschiedlichster Herkunft mit schnellebigem Freundeskreis, die in Zeiten finanzieller Leermonde diskret kleinere Dienste für den Besitzer des Boxvereins erledigen, um so ihr Dasein als mondäne Nichtstuer zu alimentieren.
Zum moralischen Dilemma wird es für die Beteiligten, als einzelne von ihnen, darunter die erzählende Figur, nach und nach Gewissheit darüber erlangen, mit welch verabscheuungswürdigen Geschäften der Boxclub-Besitzer, und damit indirekt auch sie ihren aufwändigen Lebensstil finanzieren.
In der Person der Dorothea Treyklbaum stellt sich in der Erzählung die Frage, wie weit sich der persönliche Moralbegriff ausdehnen muss, um den bequemen Gang saturierter Langeweile weiterhin frei von Gewissensbissen aufrecht erhalten zu können.

Der Geschichte zugrunde liegen die kürzlich in der Schweiz durchgeführten Kinderporno-Razzien.

Der Autor


Kapitel 1 - Plan Schaf

Manel ist mein Freund. Mittlerweilen habe ich mich mit ihm angefreundet. Nach allerlei tastender Prüfung, "Sie wissen bestimmt, wie man Marmor pflegt?" hatte er mir in seiner trüben, winkligen Küche eröffnet, dass es in Ordnung sei mit der Wohnung. Ich hatte genickt und den Vertrag unterschrieben. Stimmt nicht, erst hatte ich gezögert und den Füller wieder zugedreht. "Das ist mein Name," hatte er etwas schnell von sich gegeben, wohl aus der Routine, auf mein Stirnrunzeln hin, als ich den Namen gelesen, "Pejplczjntly", neben den ich meine Unterschrift zu setzen hatte, "ist ein altes Geschlecht aus dem kaspischen Raum, müssen Sie wissen. Ich bin im weitesten Sinne unter ausgedünntem Adel einzureihen, wenn Sie verstehen, was ich meine?" Ich verstand zwar nichts und versteh' auch heute noch nicht, was mich umtreibt, "zum Wohl, ich heisse Manel", mich dauernd mit ihnen dort herumzutreiben, wo endlos die Nacht des Nichtseins west. Manel steht in, wir stehen etwas abseits der Reihe beim Fleischer und warten, bis das Ritual vorbei ist.

Das Silberlicht des späten Oktobernachmittags gleisst durchs Schaufenster herein. Dodos Profil, wie ein Scherenschnitt auf dem Leuchttisch, zeichnet sich randscharf davor ab. Die Farbe des Wetters vermählt sich harmonisch mit den hellgrauen Fliesen, mit denen sie das Wändegeviert ausgekleidet haben, in denen es süsslich nach kühlem Blut riecht und nassem Leder von den Stiefeln der Kunden. Manel tritt ungeduldig von einem Fuss auf den andern. In letzter Zeit benimmt er sich ohnehin etwas seltsam, schwitzt viel mehr als früher und gerät rasch in Rage.

Dorothea Treyklbaum ist ein kluges Mädchen. Sie verdankt ihren eigentlichen Vornamen teils der Leidenschaft ihrer humanistisch gebildeten Mutter für populärwissenschaftliche Biografien und teils der Lebenserfahrung ihres proletarischen Vaters. Theodora wäre also wirklich zu auffällig gewesen und hätte sie gewiss während der Kindergarten- und Grundschulzeit den dauernden Hänseleien ihrer Kameraden ausgesetzt, die keine Ahnung von der Bedeutung der gleichnamigen Kaiserin haben konnten. Dorothea hatte wenigstens bloss altmodisch geklungen und ist mittlerweilen dank der steigenden Zuwanderung von Osteuropäern durch das Kürzel Dodo wieder sprichwörtlich salonfähig geworden.

Im Schritttempo raunen die Karossen vorbei. Andauernd treten Schatten hinaus auf die Fahrbahn, um sie zick-zack zwischen den qualmenden Auspuffrohren zu überqueren. "Dreihundert Gramm Schweinerippen, bitte", macht sich Manel bemerkbar. Wir beobachten alles ganz genau. Zwei der Schlachter haben soeben begonnen im Hof der Einfahrt Fussball zu spielen, ihre Kippen zwischen die Zähne geheftet. Die Wartenden strecken diskret ihre Hälse nach links. "Dankestimmt jenau, a'widasehn", flötet die sorbische Aushilfe. Auch Manel wird der Bewegung gewahr und beginnt, hinüber zu nischen. In Gummistiefeln kicken sie ein Kuhauge herum. Dreck hat sich überall daran festgeklebt und nun sieht es aus wie ein nasser, schmutziger Tennisball. "Kommst Du?" Er tippt Dodo auf die Schulter. Manel Pejplczjntly und Theodora Treyklbaum verbindet mehr als nur ihre eigenartigen Namen.

Sie dreht sich um, senkt ihren Kopf und trottet Richtung Tür. Der Regen hat jetzt eingesetzt und ich seh' ihn in seine Stirn krausen, als er Dodo in beinahe altväterlicher Manier durch eine Handbewegung auffordert, zuerst hinauszugehen, obwohl er natürlich auch hätte wissen müssen, dass ein Gentleman in solchen Fällen vorangegangen wäre und ihr draussen seinen Schirm aufgespannt hätte. Allein, Manel besitzt keinen Schirm und so bleibt seine ungelenke Handbewegung einziges Zeugnis seiner selbstgeschusterten Knigge-Kenntnisse. Dennoch scheint Dodo sich zu freuen. Kaum draussen im Regen, breitet sie ihre Arme aus und wendet ihr Gesicht gegen den Himmel. "Sprühregen ist doch das Beste für meine Haut", ruft sie begeistert, und laut, um den Verkehrslärm zu übertönen, hundert schmatzenden Sauriern nicht unähnlich.

Manel, ein blasser, wasserscheuer Enddreissiger mit zögernden Augen und dünnem Kinn, steht angewidert vor Dodo. Ihr kindliches Gemüt und ihre Freude sind ihm seit jeher suspekt und unangenehm gewesen. "Heute nachmittag sind wir uns erstmals seit langem wieder begegnet; seither benimmt er sich so seltsam", hat mir Dodo anvertraut. Das war am Montag. "Welchen Tag haben wir heute?" Einer könnte denken, welch bescheuerte Frage, doch, "Mittwoch", antwortet Manel sich gleich selbst, denn er kennt den Mickey Maus-Club, von früher, und weiss somit, dass heute der Tag ist, an dem alles passieren kann.

Er presst seine Lippen zusammen und tritt zur Tür hinaus in den fibriselnden Vorabendregen. Schneeregen! "Jetzt rechnen sie ab mit uns, da oben", ruft Manel schaudernd, vielleicht hat er recht, zieht seinen Kragen hoch und dreht sich weg, als Dodo beginnt, ihre nasse Mähne zu schütteln, so dass sie ausschaut, wie einer jener Hunde, bei denen man nie weiss, wo vorne und wo hinten ist. "Ich habe Lust auf einen Kaffee", und das Kaffee singt sie wie eine Opernsängerin, die vom Souffleur heimlich in die Wade gekniffen wird. Einige der Passanten drehen sich nach ihnen um. 'Peinlich', mag es Manel durchfahren sein. Hinter ihm schubsen sich bereits die nächsten Kunden aus dem Geschäft und stossen ihn in den Rücken. Er stellt die papierenen Einkaufstüten kurz auf den Boden, als plötzlich links in der Ecke unseres Blickfelds das Bullenauge unter den stählernen Einfriedungsgittern der angebauten Schlachterei hervorschiesst, quer über die Fahrbahn, direkt vor einen heranfahrenden Wagen, der einen Moment lang ins Schleudern gerät, als sein Hinterrad kurz auf dem Augapfel durchdreht. Manel glotzt kurz hin und schaut dann stumm mit rollenden Augen zu mir herüber. Das Leben in der Gemeinschaft ist schön und grausam, geheimnisvoll lockend und voll dunkler, ureigenster Fragen. Es zieht uns mit tausend Fasern zu ihm hin, seine Wunder zu erfahren, seine Schrecken zu durchleiden und sein Rufen zu erwidern. Es scheint uns gar ein greifbares Paradies zu sein, das wir jedoch nicht bloss sehen wollten und es uns darob verbaut haben. So sitze ich hier mit Manel in der Bahn des Lebens, müde, unlustig, mit dem Gefühl des Gefangenseins, nicht verstehend, wes bizarrer Humor mich noch zu unterhalten vermag um nicht den Mut zu verlieren, weiter nach Wundern zu forschen.

Dodo scheint von all dem nichts bemerkt zu haben und ist bereits losmarschiert, in ihren Kampfstiefeln und den Wollstrümpfen, die zwei stämmige Beine umschliessen, welche in einem Ledermini verschwinden, sich dann in schwungvolle Hüften ausladen, um rasant in eine Wespentaille zu münden, so dass nicht zuletzt dank ihrer grosszügig ausgestatteten Oberweite sie frappante Ähnlichkeit mit einer Sanduhr im Etui aufweist. "Eine Verrückte, das sieht doch ein Blinder", kauzt Manel. Kauzte er bereits in der ersten Sekunde, als er ihr begegnet war, damals, im Hinterhof eines besetzten Hauses, hatte sie ihre Kuh gemolken. Sie will ihre Verrücktheit zur Erfüllung ausleben und blieb deshalb ihm, Manel, dem notorisch misstrauischen Zögerling, bis heute ein ewiges Geheimnis, was solls? Er war meiner Meinung nach schon immer der Verklemmte gewesen, hatte irgendwann wohl oder übel akzeptiert, dass er verklemmt war, und sich nach und nach seine Verklemmtheit zum Stil gemacht. Dabei wäre er gern der Typ gewesen, der Kleines zu seinen Freundinnen gesagt und dafür ein paar Bücher weniger gelesen hätte. Doch seine Brille spricht Bände und sein Händdruck bleibt feucht wie seine unerfüllten Träume.

"Bestimmt haben Sie, pardon, bestimmt hast du dich bereits gefragt, weshalb ich, in meiner Position, in solch einer Bruchbude wohne? Hör zu, ich sag dir eins, Freundchen, wo ich wohne, hat niemanden zu interessieren, bleibt geheim. Frag' mich also nicht nach einer Adresse oder ne Telefonnummer. Sollte sich ein Notfall ereignen, weiss ich ohnehin schnell Bescheid. Kann sein, dass ab und zu mal Post für mich kommt, sind illegale Zeitungen einer Untergrundpartei, leg sie einfach in diese Box neben deiner Wohnungstür und schliess sie ab. Und zwar..." Er hatte mühselig mit den Fingerspitzen einen winzigen Schlüssel von seinem Bund gelöst und ihn mir hingestreckt, "damit, keine Bange, du wirst nicht in irgend Etwas verwickelt; ich mache täglich meine Runde und nehme alles mit, was dich belasten könnte."

Ich erinnere mich, wie seine Sprachführung sich im Lauf seines Monologs zum Singsang der Versicherungsvertreter verändert hatte, für den ein abgebranntes Haus oder ein totalbeschädigtes Auto samt Insassen lediglich ein Schaden ist, demzufolge eine Schadennummer trägt und dann seinen bürokratischen Gang geht. Ich hatte ihm unsicher zugegrinst, den Wissenden gemimt und den Schlüssel eingesteckt. Zum Abschied kniff er mich in die Wange.

Manel hat sich nicht mehr so viel gezeigt in letzter Zeit. Ich kann das gut sehen, denn mittlerweile haben sich bereits vier weisse Umschläge in der Box angesammelt. Sie tragen den Stempel einer Disco ausserhalb des Zentrums: "Solariss", ein weissrosa Tempel, unweit des deutschen Grenzbahnhofs im Areal ausgedienter Frachtterminals situiert und allabendlich von schwarzgekleideten Kunstis und Szenoiden in teuren Hippieklamotten bevölkert, die wissen, dass sie in der Stadt leben. Oder zumindest das Wort dafür noch kennen.

Bereits ist Dodo ums Eck, also beginnen wir, uns zu sputen. Manel rafft seine Einkaufstüten zusammen und sprintet ihr hinterher. Er würde sowas nie tun, wäre sie nicht die Einzige, die sich überhaupt noch mit ihm abgeben mag. Dabei sei sie ihm zu gross, zu stämmig und überhaupt, sagt er, zu vorlaut. Er kann es nun mal nicht verkraften, dass sie in den meisten Fällen recht hat, wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen. Mit einem Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, hält er abrupt inne; das Geräusch von reissendem Papier lässt ihn gefrieren. Einige der Sektflaschen sind durch den Boden der Tüte gebrochen, der sich durch den Stop im Regen in Sekunden aufgeweicht hat. Manel flucht jämmerlich und beginnt zu japsen. Ich darf im Regen stehn. Zur Strafe beschliesst sein Magen, sich einen Qualster zu leisten, der in vollem Bogen auf die Kühlerhaube eines vorbeifahrenden VW-Golfs klatscht. Ich reiche ihm ein Papiertaschentuch, klemme zwei der Flaschen unter den Arm, dann machen wir uns auf den Weg. Die Abenddämmerung wechselt langsam ihre Farbe.

In der Mitte der grauen Halle am Hafen in der Mitte der fünften Runde kann Yorkut endlich seinen Haken schlagen. Galindes, in der blauen Hose, schwankt sichtlich benommen. "Bleibt nicht mehr lange auf den Beinen", sagt Manel neben mir. Und so sieht es kurz darauf tatsächlich aus, bis der Schiedsrichter dazwischen geht. "Ganz schön druckvoll für seine Grösse, ziemlichen Dampf hinter den Schlägen, findest du nicht?" rufen sie anerkennend, zu uns hinüber, die Profis, derweil ich ratlos das Programmheft studiere, ein fotokopiertes A4-Blatt, vorne und hinten mit zu dunkel geratenen Fotos bedruckt. Ali Yorkut gegen Pedro Galindes, siebzig Kilo Mittelgewicht. Darunter steht, in Frakturschrift, The Revenge-Fuck Fight. Früher hatte ich mal alle Gewichtsklassen gekannt, es gab damals allerdings bei weitem noch nicht so viele Gewichtsbegrenzungen. Heute ist alles neu, mit verschiedenen Boxverbänden, mit Junior dies und Super das; ein jeder kürt seinen eigenen Weltmeister. Doch heute Abend, ausnahmsweise, stehen keine Million für den Sieg, einzig die Ehre gilts zu verteidigen, stellvertretend für eine Trophäe, erkämpft vor halbem Publikum mit halben Herzen.

Die Ehre trägt auch einen Namen; sie heisst Isabelle und sie streitet zur Zeit eine leibliche Befleckung durch Pedro Galindes ab, der sich damit laut in der Stadt gebrüstet hat. Grund für Ali, den Fight zu fordern, die Ehre sowohl seiner und seiner Isa zu wahren. Diese sitzt zur Zeit im regenfesten Arkadencafé "Schleycher's", offen vorgelagert der grauen Errichtung, die früher als Komplex von Lagerräumen gedient hatte und nun seit einigen Jahren der Kultur huldigt. Isabelle diskutiert gerade bedeutend mit ihrer neusten besten Freundin, Marte. "Galindes lügt. Er hat mich einzig nur zum Training mitgenommen, zugucken, wie er trainiert, und nachher habe ich ihm noch den Rücken massiert, das war alles, mehr war nicht. Pedro ist ein Grossmaul; und Ali weiss das, und hat ihn sowieso aufm Kieker, Galindes, der Gigolo. Hoffentlich kriegt sein schönes Gesicht eine Narbe. Ich hoffe, er wirds für mich tun."

Ali Yorkut hingegen tuts nicht nur für die Ehre allein, sondern vor allem fürs Spektakel der Regulars aus der "Napoli-Bar", die speziell für diesen Anlass hier hinaus gekommen sind ins Hafengebiet, das wie immer gemächlich und gefährlich betriebsam vor sich hinrottet. Es sitzen vorwiegend unbeteiligt Gelangweilte auf grauen oder blauen Klappstühlen, von denen etwa dreihundert, in klassischer Manier, um den Ring aufgebaut worden sind. Ein grauer Stuhl kostet fünf, die blauen, in Reihen zu viert als kleines Karree hinter den Ringrichtern gruppiert, sieben Euro. Die meisten Besucher jedoch, eigentlich nur Männer, bis auf die obligaten Tigerlilien, stehen locker gruppiert hinter den Stuhlreihen und feuern von dort aus die Boxer an.

Der, ebenfalls klassische, auf den Ring gerichtete Kegel, der die Halle in einen harten Lichtkontrast taucht, ist einzige Beleuchtung bis auf die blaue Neonröhre über der improvisierten Bar. Angestrahlt werden vorwiegend Ring und die ersten Stuhlreihen, worin sich einige Dutzend Schaulustige verlieren, Ringrichter inbegriffen. Lächerlich, wie gut hat Frieder das mit dem Fernsehen vergessen. Ach ja, Frieder, etwas dandy, dort drüben. Ausgerechnet in einer Gruppe glückloser Fussgänger rund um eine unbekannte Rothaarige steht er und macht auf Konversation. Ich nicke kurz hinüber und setze mich auf sein Zwinkern hin in Bewegung. Gibts Typen wie Roberto, die tagelang ihre Finger nicht mehr waschen, bloss weil noch immer der gewisse Duft dran klebt. "Frieder, was zum Kuckuck treibst du denn hier?" Sie johlen es laut und burschikos, sind glücklich, Frieder zu kennen, keinen Ärger mit ihm zu haben, und sie heben ihre Flaschen, "hier, bei uns im Ghetto des Anonimo?"

"In der Allegra steht, dass Frauen mit Orgasmen glücklicher sind". "Glücklicher als wer?" "Als Frauen ohne Orgasmen". "Ach so, du meinst René ist das Problem? "Richtig, René; und dann diese Sache mit dem Rechner". "Dem Rechner?" "Meinem Rechner, nachdem ich, und das ist auch so eine Geschichte, weisst du, wenn nämlich nicht du mir dieses Schnäppchen aus deinem Büro hättest verkaufen können, stünde ich heute noch ohne Rechner da.""Ey, Marte, das hab' ich doch gern getan, der stand bei uns sowieso nur so 'rum, ist ja auch nicht das neueste Modell". "Egal, das war wirklich toll, Du weisst ja, nächste Woche werde ich meine Boutique eröffnen und ich brauchte unbedingt eine Buchhaltungs-Software, um künftig mein Geschäft übersichtlich zu führen. Ein gutes Buchhaltungsprogramm, das ein bisschen über die Milchmädchenrechnung hinausgeht, hätte ich mir nie alleine einrichten können. Sowas ist viel zu kompliziert, eine Riesenbürokratie ist das nämlich, das Verwalten der ganzen Klamotten, die mir die Leute in Kommission geben werden -." Mittlerweilen ist ihr Orangensaft alle geworden.

"Marte, verzeih, aber..." "Aber du, du kannst dir..." "Du wolltest mir etwas über den Rechner erzählen?"

"Richtig, verzeih, dass also René mir dauernd den Rechner versprochen und mich immer wieder mit dümmlichen Ausreden abspeisen und vertrösten konnte, ihn womöglich gar nie für mich beschaffen wollte, ist das eine. Das andere ist, dass er sauer auf mich war, nachdem ausgerechnet du das Ding an jenem Abend bei uns zuhause programmiert hast, nachdem es bereits du gewesen bist, die mir die Connection zum Rechner hergestellt hat, wohlgemerkt. An jenem Abend ist er noch lange um mich herumgestrichen, als ich dran gesessen bin, hat an deinem Programm herumgemäkelt, gesagt, da hätte man noch und dort hätte man unbedingt, wenn ich wollte, würde er es dann am Morgen für mich kor-rigie-ren. Kannst du dir das vorstellen? Sowas von demütigend! Was ich sagen wollte: ich bin einfach ausgerastet". "Du bist ausgerastet?" "Ja, stell dir vor, ich habe ihm eine geklebt."

Isabelle hat eigentlich dünnere Lippen, als es ausschaut. Sie schminkt sie gekonnt etwas voller, denn das ist ihr Beruf. Sie ist durchaus eine Schönheit zu nennen, naturblond, wie sie daherkommt, eine Halbnacktschraubenschnecke mit langen Beinen, die sie oft und gern zeigt. So auch heute, "mein Sekretärinnenlook", wie sie mir gegenüber einmal betont hat, "sowas törnt gewisse Männer an", sagte sie auch; ich denke, das sagt sie bei jedem ihrer Looks. Es scheint sich also bei Isabelle um eine leichtfertige Frau zu handeln, die die Dreissig überschritten hat, zwar immer noch sexy ausschaut, jedoch trotzdem alleine lebt. Dieser Eindruck täuscht.

"Ich habe ihm gesagt, was für ein Schlappschwanz im Bett er sei. Wenn ich wenigstens von meinem Lover etwas aufmerksamer behandelt würde, könnte ich solche Demütigungen vielleicht ertragen, aber da er für mich sowohl als Mann als auch sonst in keinerlei Hinsicht eine Bereicherung meines Lebens darstelle, sähe ich keinen anderen Grund, als dass er jetzt seine Koffer packen müsse, das habe ich ihm gesagt". Jetzt wird ihr Gesicht etwas unschön fleckig, derweil Isabelle ihre Armbanduhr kontrolliert. "Und zwar sofort! Mein Gott, wie habe ich ihn angeschrien, den Scheisskerl! Zwei Jahre lang hat er mich angelogen, fremd gegangen ist er, mindestens vier Mal, das hab' ich so nach und nach hintenrum erfahren dürfen. Aber zuhause, ja, da war er immer zu müde oder am Rechner beschäftigt. Und nun habe ich ihm eine gelangt, mein Gott."

Frieder ist der Mann mit dem Geld, und der Kraft, uns allen das Licht auszudrehen. Ist ist blasse Mensch, stets gut gekleidet, besitzt tadellose Manieren und er hat Stil. Diese Kombination beschert ihm die dünnen Blondinen. Frieder lebt teuer; ich weiss allerdings nicht, von was oder von wem, doch es ist Manel gewesen, der ihn bereits gemocht und ihn mir vorgestellt hatte, etwa vor einem Jahr, im "Solariss". Und so ist mir nichts anderes übrig geblieben, als für Frieder dasselbe zu empfinden wie Manel, vielleicht sogar ein wenig bisschen mehr als das. Doch es hat sich bezahlt gemacht, denn heute, in Zeiten monetärer Leermondphasen, kann ich Frieder anrufen und finde gleichentags sein Geld unbürokratisch in meinem Briefkasten. Er bezahlt die Miete. Ich liebe ihn. Bequem. Und Frieder hat immer recht: "Yorkut hat seine Chance nicht genutzt", spricht er in seine Dunhillwolke hinein und alle rundum gucken hoch. "Keine Panik, er hat ja noch drei Runden Zeit" weiss Roberto. In der Halle Rauchverbot. "Und sonst, wie läufts?" addiert einer leis, Boxer mit dem Hals in der Krause, seine Augen wachsam. Wisse, Geprügelter, Frieder spricht nie kein Wort zuviel und so bleibt dir sein stummer Blick immer die einzige Antwort. In Frieders Kosmos denkt man mehr. An sich selbst.

"Ich gehe mal kurz ein Bier holen, wer will eins?" Robertos Stimme kippt schon etwas, als sie sich kurz erhebt, um dem Lärm, der ihm drum 'rum schon reichlich dreht, Meister zu werden. "Kein Bier, vielleicht eine Weissweinschorle, wenn du so lieb sein magst, zu fragen, ansonsten einen Martini, bianco", spricht Frieder elegant, die Tunte, oder was auch immer er heute darzustellen vorgibt. "Du, wie immer?" Ich nicke bedächtig. Einer aus dem Dunkel ruft: "Falls es Kaffee hat, mir 'nen Kaffee, schwarz, und, Robbie, noch ein Päckchen Camel, ohne Filter, wenns geht, ich meine, ich bezahls dir dann später, oder 'ne Runde, oder so, oké?"

"Robbie, Robbie-lein!" Im allgemeinen Pausengedränge entgeht Roberto das kleine Spielchen, das Frieder mit ihm treibt. "Er hätte ihn unbedingt vorhin auf die Bretter schicken müssen, was denkst du?" "Keine Ahnung, weisst du, Yorkut ist eigentlich bloss mein Dealer, ich kenne ich ihn kaum, bis auf diese kleine Geschichte mit Isabelle", spricht Roberto und beisst sich in seinen Fingernagel. "Ich weiss", stäubts aus der Dunhillwolke.

In der Gesellschaft von Frieder fehlen mir immer die Worte. Frieder, an und für sich, ist oké, eine Eiterblase an der Ferse, mit der zu leben ich gelernt und wohlweislich nicht mit spitzer Zunge durchstechen wollte, nur um darob kurze Erlösung zu finden, wissend, Fussgänger, der ich bin, würde ich mir unweigerlich eine neue Blase holen, die dann vielleicht wirklich schmerzt. Also verbleibe ich still und schau zu, dass die Zukunft mich will. Was nun Isabelle angeht, ist es Frieder völlig egal, für wessen Ehre sie heute Pokal stehen will, Hauptsache, seine Kohle stimmt. Dass sie allerdings mit diesem Türken 'rummachen musste, hat Frieder mir erzählt, sei wirklich völlig überflüssig gewesen.

Bei "Schleycher's" unter all den Szenoiden in Tränen auszubrechen kann dich auf der Szene den Kopf kosten, weiss Isabelle, die Schöne, die Sachkundige mit den Beinen, bis ganz hoch, wo alles flach ist, wo manns braucht, und schön rund, wo manns gern hat. Marte hingegen, ihre neuste beste Freundin, die grad etwas zu laut schnieft, zuwenig Busen hat, die eher mittelmässig Schöne, sollte sich jetzt in acht nehmen, nicht etwa der Galanterie eines der schwarzgekleideten Studenten anheim zu fallen, ihr ein Taschentuch anzubieten, um darob mit Sicherheit in Konkurrenz zu treten mit Isabelles im Kopf bereits seit Beginn dieses spontanen Gesprächs geplanten Abschieds.

"Ich glaube, Allegra hat recht", sagt sie müd und steht bereits auf, "die Frauen ohne Orgasmen sind wohl wirklich weniger glücklich, manchmal sogar eine Zumutung für andere. Tut mir leid, Marte, aber deine sexuelle Frustration gehört leider nicht zu meiner Faszination und schon gar nicht soll sie zu meinem Problem werden. Ich habe dir unlängst die Nummer von Frieder gegeben und du kannst damit machen, was du willst, aber komm' mir nicht dauernd mit deinen Beraterseiten aus Frauenillustierten oder den Kontaktanzeigen aus der Sonntagszeitung, nur weil du dich ach so einsam fühlst. Du musst wieder vermehrt unter die Leute und nicht bloss deine Nächte an ein Gemüse vergeuden."

Ihre Worte werden gewiss in ihrem eigenen Ohr ihr erstes Echo finden. Der Sommer ist vorbei; am Birnbaum in ihrem Hinterhof hängen einzig noch vier Birnen, die Blätter fallen aus. Für Isabelle beginnt der Herbst, und draussen regnets. Sie würde sich verhüllen, sich vor Kälte schützen müssen. Und wer sieht dann noch, welch tolle Kurven sie hat?

"Bist eingeladen." "Danke, ich glaube, ich habe heute sowieso nur meine Kreditkarte dabei, jetzt muss ich aber den Kampf sehen, mein Kampf!" Und sie tut schelmisch den kleinen Hitlergruss. "Tschüss, wir sehen uns später!"

Bereits hopst Ali wieder ungehalten in seiner Ecke herum, wie ein tätowierter Gaul in roten Seidenshorts. Der Gong klirrt stählern durch den Raum und vermeldet uns gähnenden After-Work-Loungies die Runde sieben mit dem Nummerngirl aus der "Grenzwert"-Bar, die sich Suki nennt, eine Hündin ist, die immer sich ziert, doch dauernd sich gibt. "Einmal Weissweinschorle, Kaffee, das Bier für dich, hier, deine Kamele, und nun, zum Wohl, auf Ali, würd' ich sagen, was meint ihr, ob sich Isabelle durch seinen Sieg beeindrucken lassen wird?" "Noch hat er nicht gewonnen." "Auf Ali", prosten sie alle, und "mmh", anerkennen sie, und Frieder, "ein Mosel mit überraschend süssem Geschmack!"

Mag solche Scherze, denn sie bewiesen Frieders wahre Kunst der Gesprächsverwirrung und somit hat keiner gemerkt, wie Isabelle als Schatten an uns herangeschlichen ist, blond im grauen Licht, um hinter Frieder aufzutauchen, ihn von uns weg zu ziehen, ihm das süsse Geheimnis ihrer ungepuderten Nase zu flüstern. "Wie er bloss immer an solche Klasseweiber gelangt?" raunt Roberto mit ambitioniert gestaltetem Männertimbre, was einigen einen Lachanfall beschert. "Hast du eine Ahnung, was sowas kostet, Ferien im Schnee?" quäkt Manel reisserisch, nerve mich immer, denn er kennt diese Säckchen und deren angenehmes Knistern, "denk bitte nur an zwei Dinge, Robbie: Erstens, alles hat seinen Preis. Und zweitens, Frieder ist der Mann in der Position, die Preise zu machen.

Ali Yorkut hat gewonnen, nach Punkten. Dieses Resultat hatte ihn vorfristig fünf Hunnis gekostet, ein Freundschaftspreis von Frieder. Galindes würde mit Isabelle erst mal einige Wochen nach Portugal fahren. Bis dahin wird auch Ali das Ganze vergessen haben, dergestalt überlebt sein Boxerherz.

Die Show ist vorbei. Zwei Federgewichtler stehen im nächsten Kampf, Bezirksliga. Der dicke Ringrichter brüllt in sein Megaphon, plärrt an die jungen Kerle mit ihren weichen Gesichtern und wenig Saft in den Schlägen. Sie sind Stossdämpfer, wohl oder übel wissend, ein Kampf über die vollen fünfzehn Runden würde beiden wenig Spass bereiten. Unsere Blicke fahren nach rechts, Ali trottet heran, der King im königsblauen Bademantel; in seiner linken Faust hält er die überdimensionale Prosecco-Flasche und beginnt, sie kräftig zu schütteln, packt sie mit seinen Rausschmeisserpranken, lässt dem Korken freie Schubkraft und strahlend Sprudel fahren, direkt an seine Koteletten, hinunterschäumend bis ans Kinn. Die Edeltrödelgäste, angstvoll um ihre Garderobe besorgt, weichen hurtig zurück, um allerdings schnell wieder parat zu stehen, im Moment, da alle Gläser frisch aufgefüllt sind bis zum Rand, aufgereiht, erzitternd unter dem Jumpen der jungen Kämpfer in den Seilen. Schäumend überquellen die Kelche.

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Werk im Fortschritt, 15. Dezember 2002/boemle